COVID-19, Home Office und die Zeit danach.

Stefan Komornyik ist gemeinsam mit Thomas Hasleder geschäftsführender Gesellschafter der HAKOM Solutions GmbH. Das Unternehmen entwickelt seit fast 30 Jahren Zeitreihentechnologie für die Energiewirtschaft und konnte sich im europäischen Markt einen erstklassigen Namen erarbeiten. Wir sprechen mit Stefan, dem CEO des Unternehmens, über das Thema COVID-19: Was bedeutet der Virus für HAKOM, wird es Auswirkungen auf die Produktpalette haben und was könnte es für die Energiewende bedeuten?


Interview – unternehmerische Herausforderungen durch COVID-19.

Sofia Markart: Stefan, COVID-19 dominiert aktuell alle Bereiche der Medien. Wann wurde es für HAKOM das erste Mal zum Thema?

Stefan: Als Technologie Unternehmen sind wir es gewohnt, die internationalen Märkte aufmerksam zu beobachten. Uns war recht früh klar, dass da was kommen wird. China ist die Werkbank der westlichen Welt. Die Lieferketten bestehen nicht nur aus Waren, Computern und Flugzeugen. Zu einem guten Teil sind es Menschen, die sie mit Leben erfüllen und die reisen nun einmal zwischen China und Europa und das sehr intensiv. Daher hatten wir das COVID Thema schon bei der E-World in Essen diesen Februar am Radar.


Sofia Markart: Am Radar, was heißt das konkret?

Stefan: Wir haben intern die Situation besprochen und beschlossen, während der Messe noch mehr als sonst auf Hygiene zu achten. Also die ganz einfachen Dinge zu beachten, die jetzt auch empfohlen werden. Ausreichend Abstand halten so das geht, Hände waschen usw. In dem Zusammenhang erscheinen die asiatischen Höflichkeitsformen, verbeugen statt Hände schütteln und dem Gegenüber genügend Raum zu geben, als sinnvolle Alternative zu den westlichen Mustern.


Sofia Markart: Du meinst, wir sollten uns in Zukunft auch eher so begrüßen?

Stefan: Warum nicht, das macht doch generell Sinn. Jeder Verhaltenstrainer rät übrigens auch einen virtuellen Kreis um sein Gegenüber zu ziehen und in diesen privaten Bereich nicht einzudringen. Das schadet der Atmosphäre und erzeugt Stress. Vielleicht sind das ja die 1,5 Meter.


Sofia Markart: Wann wurde dann das Virus ein Thema im Office in Wien?

Stefan: Auch wieder sehr früh, eigentlich schon nach der E-World. Unser Office liegt direkt am erstklassigen Wiener U-Bahn Netz. Da kommen natürlich viele Mitarbeiter sinnvoller Weise mit den „Öffis“, wie das in Wien heißt, zur Arbeit. Wir haben dann diese Mitarbeiter motiviert, vom Home Office aus zu arbeiten, was gut angenommen wurde.


Sofia Markart: Und das ging technisch einfach so?

Stefan: Ja, das war kein Problem. Wir setzen seit längerer Zeit Office 365, MS Teams für Besprechungen und andere Tools wie Confluence, Jira, MS Dynamics oder SharePoint ein. Die Möglichkeit remote zu arbeiten, ist bei HAKOM Stand der Technik. Überhaupt ist Österreich im Bereich Home Office in der EU sehr weit. Führend sind Benelux und Finnland. Dort arbeiten rund 14% der Erwerbstätigen permanent im Home Office. Dann kommt aber schon Österreich mit 10%. Alle anderen EU Staaten bringen es im Schnitt auf lediglich 4%.


Sofia Markart: Wie kann das erklärt werden?

Stefan: Ich denke, es ist primär ein kulturelles Thema, wie Menschen gewohnt sind zu interagieren. Klar, das technische Setup muss stimmen, aber das ist wohl eher nachrangig. Spanien hat beispielsweise, im Vergleich zu Deutschland und Österreich, ein exzellent ausgebautes mobiles Datennetz. Da können wir nicht mit. Das macht Sinn. Spanien ist enorm groß und dünn besiedelt. Da ist das notwendig, um in der heutigen Zeit nicht ganze Regionen aufzugeben. Trotzdem arbeiten nur 4% der Spanier im Home Office. Eigenartig oder? Das kann nur kulturell erklärt werden. Romanen brauchen eben das Persönliche und das ist kein Vorurteil.


Sofia Markart: Apropos das Persönliche: Technisch ist also das Home Office bei HAKOM kein Thema, aber wie gehen die Mitarbeiter damit um? Wie läuft die Zusammenarbeit, die Kommunikation?

Stefan: Wir haben vor zwei Jahren nach umfangreichen Analysen unsere Organisation neu aufgestellt. Es wurden Teams von 4 bis 7 Mitarbeitern gebildet, mit jeweils einer Teamleiterin oder Teamleiter. Diese kompakte und zielgerichtete Organisation ist jetzt die perfekte Struktur für die aktuellen Herausforderungen. Die Teams haben auch einen starken persönlichen Zusammenhalt, was wir fördern. Home Office ist eben, wenn es wirklich gelebt wird, etwas komplizierter, als manch einer von außen denkt.


Sofia Markart: Kompliziert in welcher Hinsicht?

Stefan: Na ja, wir sind ein junges Unternehmen. Da laufen eben bei vielen auch Kinder zu Hause herum. Die verstehen erstmal nicht, warum Mama oder Papa plötzlich keine Zeit für sie hat, wenn sie oder er doch zu Hause ist. Das muss Kindern erklärt werden und ist gar nicht so einfach. Andere fühlen sich alleine gelassen. Das soziale Leben nach der Arbeit existiert aktuell nicht mehr. Wir haben einen humoristischen Blog eingerichtet, um die persönliche Ebene nicht zu verlieren. Die ist wichtig.


Sofia Markart: Kommen wir zur Kundenseite. Wie geht HAKOM in der COVID Krise mit der Kundenbetreuung um?

Stefan: Da sind zwei Bereiche zu unterscheiden, der inhaltliche und der technische. Im Tagesgeschäft hat sich technisch eigentlich nichts geändert. Die Kommunikation läuft schon seit Längerem größtenteils digital. Technisches wird standardmäßig über Fernwartung erledigt und auch ein Journaldienst außerhalb der Werktage steht unseren Kunden wie üblich zur Verfügung. Verfügbarkeit ist eben alles im Energiesektor. Spannend ist der inhaltliche Bereich, denn durch die Pandemie betreten wir in einigen Bereichen Neuland.


Sofia Markart: Neuland in Bezug auf Prognosemodelle?

Stefan: Genau, eine derartige Situation hat es noch nie gegeben. Wenn ganze Branchen stillstehen, dann führt das zu einem massiven Einbruch des Energiebedarfs. Das konnte schon in der Finanzkrise 2009 beobachtet werden. Die beeinflusste aber die Realwirtschaft im Vergleich zu dem, was aktuell passiert, kaum. Prognosen des Energieverbrauchs sind derzeit besonders komplex, da es keine historischen Trainingsdaten gibt. Neue Faktoren spielen auch eine Rolle. Politische Entscheidungen beeinflussen plötzlich den Energiededarf von einem auf den anderen Tag. Wir sind am 13. März gezielt auf unser Kunden zugegangen und haben die besondere Thematik angesprochen. Unseren Servicebereiche haben wir sofort für derartige Business Impact Analysen fit gemacht, um in der Krise ein starker Partner zu sein.


Sofia Markart: Um das Thema Energieverbrauch weiter zu führen: Wie könnte COVID die Energiewende beeinflussen?

Stefan: Ich denke, der Weg ist vorgezeichnet. Deutschland beschreitet da einen beachtenswerten, sehr mutigen Weg in Sachen Energiewende. Immerhin machte zum Zeitpunkt, als die Abkehr von Kernenergie, Stein- und Braunkohle beschlossen wurde, der Anteil dieser Energieträger rund 40% des Primärenergieverbrauchs in Deutschland aus. Das Vorhaben könnte auch als Energierevolution bezeichnet werden. Früher oder später werden diesen Weg auch andere Länder gehen müssen, auf Grund der Ressourcen und weil Menschen umdenken, sich Prioritäten verschieben. Meiner Meinung nach wird die Pandemie diesen Prozess beschleunigen. Microgrids, Smart City und ähnliche Themen werden stärker forciert werden. Auch aus der Sicht der Versorgungssicherheit und dem Wunsch nach dezentralen Strukturen, der überall hörbar wird. Wir befassen uns mit diesen Themen intensiv, denn sie beeinflussen wo wir den Fokus im F&E Bereich setzen. Ist die Energiewirtschaft bereit für neue Ansätze, dann sind wir mit unserer Technologie auch bereit dafür.


Sofia Markart: Hört sich gut an, was wäre denn ein konkretes Beispiel dafür?

Stefan: Regelenergie beispielsweise. Microgrids, Green Energy, all diese Themen werden es notwendig machen, dass sich Assets zu virtuellen Kraftwerken zusammenschließen, um das Netz stabil zu halten. Im Sommer wird „BigBattery Lausitz“ online gehen, ein Batteriekraftwerk mit 50 MW Leistung. Die Lausitz, die einst auf Grund ihre Braunkohlevorkommen als der Energiemotor der DDR galt, schafft gerade mit einer beachtenswerten Kraftanstrengung den Umstieg von Braunkohle in Zukunftstechnologien. Die Strukturföderungsmaßnahmen wirken. Kraftwerke wie die „BigBattery Lausitz“ werden in Zukunft für die Netzqualität eine wichtige Rolle spielen. Wir haben zu diesem Thema gerade ein F&E Projekt laufen, dass sich mit dem Zukunftsthema Netzqualität befasst.


Sofia Markart: Stichwort virtuelle Kraftwerke. Immer mehr Prozesse verlagern sich in die Cloud. Was bedeutet das für HAKOM? 

Stefan: Das ist eine interessante Frage in Bezug auf unsere Zeitreihen- und Prognosetechnologien. Wir sehen aktuell, dass Microsoft einen guten Teil seiner krisenbedingten Umsatzverluste, durch ein explodierendes Cloud-Geschäft gut macht. Amazons Cloud, die AWS, wird durch COVID-19 ebenfalls massiv befeuert. Der Weg führt in die Cloud, das ist vorgezeichnet. Eng verbunden damit ist die Share Economy, nutzen und nicht mehr besitzen. Das gilt für Musik, Autos oder auch für Software in gleichem Umfang. Auf der E-World in Essen haben wir dieses Jahr erstmals unser „Hosted Lab“ vorgestellt. Wir sind bereit für diesen Trend.


Sofia Markart: Stefan, wie sieht in Zeiten wie diesen der Alltag im Entwicklungsbereich aus? 

Stefan: Ambitioniert, wie immer. Die Welt wird nicht untergehen. Das Wichtigste in Krisen ist es kühlen Kopf zu bewahren und das operative Geschäft nicht zu vernachlässigen. Wer es richtig macht, geht aus Krisen gestärkt hervor. Unser CTO Thomas hat einen strukturierten F&E Plan, ein Portfolio aus aktuellen und Zukunftsthemen. An denen wird intensiv gearbeitet. Dazu kommen neue Erkenntnisse aus der Krise. Für unsere Kunden im Bereich Prognose arbeiten wir aktuell intensiv an Verbesserungsmöglichkeiten von Prognosemodellen in volatilen Situationen, wie eben diese Krise eine ist. Das wird auch für andere Bereiche interessant werden. Die Energiewende befördert eben durch Wind- und Sonnenenergie, Microgrids, Prosumer usw. die Volatilität. Das wird ohnedies ein Thema auch abseits jeder Krise werden.


Sofia Markart: Noch eine Frage zur geschäftlichen Situation. Wie sieht es da für HAKOM aus?

Stefan: Wir zeigen aktuell unseren Kunden, dass wir auch in einer derart dramatischen Krise, das ist wohl nicht übertrieben, ein verlässlicher und leistungsfähiger Partner sind. Wir erfüllen alle Verträge. Parallel dazu widmen wir uns aktuellen Problemen proaktiv. Wir warten also nicht, bis bei uns angeklopft wird. Zusammen mit den Teamleiterinnen und Teamleitern haben wir präventiv unsere Kapazität auf 75% angepasst. Die Österreichische Bundesregierung hat hier ein hervorragendes Paket geschnürt. Die Mitarbeiter haben so trotzdem rund 80-90% ihrer Bezüge. Ansonsten steuern wir recht gelassen und transparent durch die Krise. Unser rigides Finanz- und Liquiditätsmanagement hält uns hier den Rücken frei.


Sofia Markart: Eine Frage zum Vertrieb. Was wird sich da tun?

Stefan: Auch eine spannende Frage. Wir werden vieles neu bewerten müssen, aus den Erfahrungen heraus, die wir jetzt alle machen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind äußerst wichtig. Wir sind keine Maschinen. Der soziale Faktor spielt eine große Rolle, um erfolgreich zusammen arbeiten zu können. Es geht um Vertrauen, das Gegenüber zu verstehen, sich auszutauschen und gemeinsam Dinge zu entwickeln und vorwärts zu bringen. Dazu müssen sich Menschen auch im echten Leben und nicht nur digital treffen. Das wird niemand bestreiten. Die Frage wird sein zu bewerten, wie oft denn das sein muss und wieviel sinnvoll ist. Vieles sind bekanntlich eingelernte Routinen, die irgendwann nicht mehr hinterfragt werden. Jetzt werden Fragen gestellt. Das ist nicht schlecht. Derzeit ist der Einwahlcode das neue Flugticket.


Sofia Markart: Abschließende Frage, wie gehen Thomas und Du mit der Situation um. 

Stefan: Thomas arbeitet im Home Office. Seine Kinder sind noch klein, da ist er auch auf dieser Ebene derzeit stärker gefordert. Meine Töchter sind schon älter. Die jüngste sollte die nächsten Monate maturieren, also ihr Abi machen. Niemand weiß aktuell, wie das alles organisiert werden wird. Es wird spannend. Ich kann also jeden Tag ganz normal im Büro sein, denn auch dort steht die Zeit nicht still. Leider fehlt aktuell die informellen Kontakte in unserem Unternehmen. Die spielen bei uns eine wichtige Rolle, das gemeinsamen Mittagessen, das Gespräch in der Kaffeeküche. Damit das nicht ganz verloren geht, es sind fast alle im Home Office, haben Thomas und ich eine „Open Door“ eingerichtet, Terminblöcke, in denen wir für alle zu erreichen sind. Meine Wochenenden sind recht nahe dem Leben vor Corona. Meine Frau und ich sind mit oder ohne Kinder im Waldviertel, machen in den Wäldern vor dem Haus Sport, gehen mit unserem Hund spazieren. In Krisen eine gewisse Routine aufrecht zu erhalten ist wichtig, um sich von ihr nicht vereinnahmen zu lassen.


Sofia Markart: Ein abschließender Satz?

Stefan: Drei kurze bitte: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Das hat Max Frisch geschrieben.


Sofia Markart: Ein positiver Schlusssatz mit einem Schuss Humor. Danke für das interessante Gespräch!



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