Wearables – The Big Data Machines.

Wearables – alles begann mit dem Puls.

Als 1977 Seppo Säynäjäkangas in Finnland sein Unternehmen „Polar Electro Oy“ gründete, war ihm wohl kaum bewusst, dass seine Erfindung der Zünder einer kleinen Revolution sein würde: Das erste elektronische Wearable im Consumer Bereich wurde geboren. Säynäjäkangas forschte an der Universität von Oulu, um ein mobiles Gerät zur Messung der Herzfrequenz zu entwickeln. Die Idee dazu entstand bei Säynäjäkangas, als ihm ein Langlauf Trainer erklärte, die stationäre Pulsmessung von Athleten sei nicht ausreichend, um die Fitness systematisch und gezielt zu steigern. Über das gesamte Training müsse diese gemessen und ausgewertet werden. Ein mobiles Gerät wäre die Lösung.


Der erste Polar Trainer entstand. Ein klobiges Gerät, das nur Profi Athleten oder ambitionierte Hobby Leistungssportler am Handgelenk trugen. Mit einem Brustgurt konnte es kabellos EKG genau die Herzfrequenz messen und als Zeitreihe speichern. Schon das erste Gerät ließ sich mit einem PC koppeln, um die Messwerte auszulesen und auszuwerten: Eine einfache Kurve mit einer min und max Linie wurde am Monitor gezeichnet. Erstmals konnte im Trainingsalltag gezielt so trainiert werden, dass der Athlet sein Programm im optimalen Pulsbereich absolvierte. Aus der einfachen Polar Software entwickelte sich die Polar Trainingsplattform, die Daten aller Trainings kumuliert, warnt, wenn die Belastung zu hoch wird oder zu gering ist, wann ein Training empfohlen wird und in welcher Intensität uvm. Die erste Plattform, die systematisch Zeitreihendaten von Sportlern analysierte und Empfehlungen gab, wie ein Trainingsfortschritt zu erzielen sei.


Heute laufen die Trainingsdaten vieler Millionen Polar Nutzer in der „FlowSynch“ Cloud zusammen. Ein fantastischer Datenpool aus Zeitreihen, die Polar Electro Oy analysieren kann, um die Plattform zu einem virtuellen Trainer zu entwickeln.

Alles wird gemessen – vom Puls zur Luftqualität.

Der Brustgurt des Polar Trainers war der erste elektronische Sensor eines Consumer Wearables, der auch bereits Zeitreihen aufzeichnete und an PCs ausgab. Wearables vor dieser Zeit waren mechanisch, wie beispielsweise Pedometer, die einfach Schritte zählten. Besonders bemerkenswert das Wearable  SOS Automatic Decompression aus den frühen 1980iger. Ein Hybrid aus Mechanik und einfacher Elektronik, das dem Taucher abhängig von Tauchtiefe und Zeit, Dekompressions Stopps und Nullzeiten berechnete, also eine Zeitreihe des Tauchvorganges auswertete. So mässig, dass es zu zahlreichen Unfällen kam und das Gerät mehr berüchtigt als nützlich war.


Heute bieten schon preiswerte Wearables wie Fitness Bänder eine große Palette an Sensorik. Gyrosensoren die in Kombination mit einem Accelerometer die Bewegung im Raum messen können, ausgestattet mit einem GPS und Proximity Sensor nicht nur relativ sondern auch absolut. Auch Temperatur Sensoren, piezoelektrische Aneroid-Barometer zur Höhenmessung, biometrische Sensoren sind bereits Standardware.


Die Forschung interessieren bereits ganz andere Sensoren: Membran Sensoren beispielsweise, durchlässig für Salzkristalle des menschlichen Körperschweiss, die interessante Gesundheitswerte u.a. auch für Diabetiker ermitteln lassen oder Sensoren, die den Blutdruck messen können. Google experimentiert dazu mit „Google Glass“, Apple will mit neuartigen Diodensensoren am Handgelenk tiefer ins Blut hinein sehen. Das große Problem all dieser Ansätze: Der goldene Messwert ist im oberen linken Arm zu finden. Interessant auch der von „Plume Labs SAS“ gelaunchte Sensor zur Messung der Luftqualität. So groß wie ein USB Stick, getragen an der Jacke, Rucksack etc., analysiert er die Luftqualität und stellt die Analysedaten über eine App („Air Quality by Plume Labs“) auf einer Crowdfunding Plattform real Time zur Verfügung. 150 Städte werden so bereits abgebildet. Ein kleiner Laserstrahl liefert die Daten, um die Luftqualität zu analysieren.

Wearables – Big Data Source.

Im Jahr 2019 wurden ca. 172 mio. Wearables weltweit abgesetzt. Im Jahr 2023 werden es bereits 302 mio sein.*) Apple liegt aktuell bei einem Marktanteil von 26% weltweit. Bald werden ein Zehntel der Menschheit Daten mit Wearables produzieren. Gemessen wird in unterschiedlichsten Zeitrastern abhängig vom Sensor in Kombination mit Kapazität der verfügbaren Energiequelle. Hochwertige Wearables messen die Herzfrequenz beispielsweise im 4 bis 5 Sekunden Raster. Gigantische Datenmengen entstehen und das nur im Bereich Consumer Wearables.


Ein rasant wachsender Markt und ein noch die da gewesenes Potential für F&E ist im Entstehen. Vorausgesetzt, es ist mit diesen Daten auch etwas anzufangen. Jeder Wearable Anbieter stellt dem User sein eigenes Ökosystem zur Verfügung, ob Garmin, Fitbit, Apple, Polar, Suunto oder all die anderen. Sie bieten dem Anwender z.B. im Sport Bereich die Möglichkeit seine persönlichen Daten auszuwerten, Zeitreihen zu analysieren, Daten zu teilen, mit anderen Athleten zu vergleichen, virtuelle Trainingspartner zu finden, Trainingsprogramme auszutauschen, im Urlaub gleichgesinnte Trainingspartner in der Umgebung zu finden und vieles mehr.


Die ersten Unternehmen, die wohl den kommerziellen Wert dieser für den Gesundheitsbereich wertvollen Daten erkannt haben, waren Apple und Polar Electronics. Die anonymisierten Daten aller User sind ein Geschenk für die forschende Medizin. Analysten von Morgan Stanley schätzen den Wert der Marktchancen des Apple Gesundheitsbereichs bis 2027 mit 15 bis 213 Milliarden Dollar. IBM kämpft aktuell, diese Chance nicht zu verpassen.


Das Thema Daten zu sammeln ist bereist gelungen und entwickelt sich beschleunigend in die Zukunft. Nun steht die Herausforderung an, Daten zu teilen und aus verteilten Quellen Raster synchron zusammen zu führen. Nur so wird aus Wearable Big Data Mehrwert.

Wearables – nicht nur am Handgelenk.

Sensoren für Wearables sind zum preiswerten Massenprodukt geworden, deren Energiebedarf stetig geringer wird bei steigender Energiedichte der eingesetzten Akkus sowie Miniaturisierung. Gleichzeitig steigt die Widerstandsfähigkeit der Sensoren und auch die Waschmaschine verliert für Sensoren ihren Schrecken. Erst noch experimentell eingesetzt, finden sich Sensoren nun auch zunehmend in Sportbekleidung, Schuhsohlen, Brillen, Boxhandschuhen u.v.m. Die rasante technologische Entwicklung der Sensoren eröffnen ein breites Anwendungsfeld. Der Nutzen für den Einzelnen aus diesen Big Data Machines am Körper wird erst dann entstehen, wenn die Sensordaten systematisch verknüpft werden. Weitaus größerer Nutzen kann geschaffen werden, wenn anonymisierte Daten zur Analyse geteilt werden können.

Gesundheit – Erforschung von Indikatoren zur Früherkennung.

Die aktuell aufregendsten Themen im Bereich Big Data aus Wearables finden sich im Gesundheitsbereich. Millionen an Wearables protokollieren jede Minute immense Datenmengen abgebildet als Zeitreihen. Ein Geschenk für die medizinische Diagnostik. Viele Krankheiten kündigen sich durch unsystematisch auftretende und sehr kurze Anomalitäten an. Besteht der Verdacht auf eine Erkrankung, werden in der Regel stationäre Messungen im Krankenhaus durchgeführt, um diesen abzuklären. Wird von keinem Arzt eine Frühdiagnose gestellt, kommt es meist erst in fortgeschrittenem Krankheitsbild, oft viel zu spät, zur Diagnose.


Diesem Thema widmete sich u.a. der Data Scientist Jordan Webster in einem Data Incubator Capstone Projekt. Mit einem kleinen Tech Startup spezialisiert auf Health Wearables, analysierte Webster Zeitreihendaten von Parkinson Patienten in unterschiedlichen Stadien, die von den Werables geschrieben wurden. Er konnte bereits im Frühstadium typische hochfrequente Beschleunigungsbewegungen an den Armen und Beinen der Patienten identifizieren. Symptome, die Betroffenen im Frühstadium im Alltag meist nicht auffallen.


Die Identifizierung von Datenmustern aus Wearables, die eine relevante Zufalls-Stichprobe trägt, wird die Frühdiagnose bei schleichend auftretenden Krankheiten auf ein ganz neues Niveau heben.

Schwache Signale – Anomalitäten im Alltag erkennen.

Für eine Reihe von Krankheiten sind solide Frühindikatoren bekannt, vor allem auch, wenn sie vom Herz ausgehen. Kurz auftretendes Vorhoffflimmern kann zu Blutgerinseln im Herzen führen, in der weiteren Folge zu Schlaganfall oder Herzinfarkt. Das Problem, das Vorhofflimmern wird meist nicht erkannt, da es kurz und ohne vorherige Ankündigung auftritt, oft beim Patienten keine für ihn erkennbaren Probleme auslöst.


Waren die ersten Apple Watch mit der Dioden Pulsmessung mehr in Richtung Fitnesstracker ausgerichtet, setzt Apple seit der Version 4 seiner Watch auf neue Sensorik, die auch Elektrokardiogramme (EKG) schreiben und teilen kann. Die Qualität der Messwerte entspricht einem 12-Kanal EKG, das ein Arzt durchführt. Zusammen mit der Stanford-Universität und 400 tsd. Teilnehmern wurde ein fundiertes Forschungsprojekt durchgeführt, um zu testen, wie genau die Health App auf der Watch ein Vorhofflimmern im Alltagsgebrauch erkennen kann. Die Ergebnisse waren überraschend: 98,3 % der Warnung der Apple Watch, dass ein Vorhofflimmern aufgetreten sei, waren korrekt.


Seit der Apple Watch der 4. Generation warnt nun auch die Health App in der EU (CE Zulassung) den Träger, so er das will, vor einem potentiellen Vorhofflimmern. Die Daten können mit dem Vertrauensarzt geteilt werden. In diesen Akutfällen kann der Träger hoch präzise EKG Sinuskurven schreiben und mit dem Arzt teilen.

Wearables – Analyse und Optimierung.

Gyrosensoren, Accelerometer, GPS, Proximity Sensor und andere, die sich nicht mehr nur am Handgelenk sondern auch in Jacken, Schuhsolen, Boxhandschuhen und anderen Wearabales finden, treten aktuell an, Bereiche wie Ergonomie, medizinische Reha oder Leistungssport auf ein neues Niveau zu bringen. Bewegungsstudien, die Tätigkeiten analysieren, um Abläufe zu optimieren. Boxhandschuhe beispielsweise, die den Schlag mit der grössten Wirkung, je nach Körperbau und natürlichen Veranlagungen ermitteln. Auf der anderen Seite Wearables, die den Träger beim Aufbau ergonomischer Bewegungsabläufe unterstützen: Richtiges Gehen nach einer Hüftoperation, Vermeidung von Haltungsschäden und vielem mehr.

Resümee.

Big Data aus Wearables, eines der großen technologischen Zukunftsthemen. Daten werden zu einem immer bedeutenderen Rohstoff, der gehandelt oder auch durch Aquisitionen übernommen wird. 2,1 Mrd. Dollar war erst kürzlich Alphabet Inc. die Übernahme der Fitbit Inc. Wert. Die Hardware ist irrelevant. Wie groß der Nutzen aus diesem stetig wachsenden Datenberg sein wird hängt davon ab, wie gut es gelingen wird, aus Daten Werte zu schaffen. Das Thema der HAKOM Zeitreihentechnologie.


Den Autor Stefan Komornyik kontaktieren.


*) Quelle: Statista,  F. Tenzer, 09.01.2019